Ein Jahr vor den Kommunal-, Europa- und Landtagswahlen sind BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in Sachsen damit beschäftigt, ihr männliches Spitzenpersonal in Partei und Fraktion auf Landesebene auszutauschen. Leider ist trotz des bemühten Slogans „Grün bricht auf“ von einer Klärung der Grundpositionen oder gar einer inhaltlichen Neuorientierung der sächsischen GRÜNEN nichts zu erkennen. Beide Personalwechsel werden in sächsischen Medien als Signal für eine Öffnung zur CDU interpretiert (https://www.freiepresse.de/POLITIK/MEINUNGEN/Gruen-ist-die-Farbe-der-Angst-artikel10166771.php; https://www.sz-online.de/sachsen/gruene-setzen-weiter-auf-den-wechsel-3929212.html). Wieder einmal scheinen die sächsischen GRÜNEN in die Falle vermeintlicher politischer Nähe und Chance einer Koalition mit der CDU zu rutschen, die bereits 1994 zur Abwahl aus dem Sächsischen Landtag geführt hat. 2014 hat dieser Kurs gegen die Beschlusslage der Partei zu schweren inneren Verwerfungen und Demotivation der Mitglieder und WählerInnen geführt. Die von GRÜNER Programmtreue befreiten Annäherungsversuche an die Staatspartei CDU mussten scheitern. Allerdings hat die Partei bis heute nicht aufgearbeitet, wie es dazu kommen konnte, damit einher gehende Konflikte werden bis heute verdrängt und totgeschwiegen. Auch derzeit findet eine innerparteiliche Kommunikation um politische Linien und Personalentwicklung in der Breite der Partei so gut wie nicht statt.
Obwohl in Sachsen Themen wie der Braunkohleausstieg oder der LehrerInnenmangel für die Opposition auf dem Silbertablett liegen, gelingt es uns GRÜNEN nicht, aus dem eklatanten Zukunftsversagen der Staatsregierung politisches Kapital zu schlagen. Zum einen verlieren wir uns zu oft in fachlicher Kleinteiligkeit, zum anderen werden GRÜNE Inhalte nicht professionell in Szene gesetzt. Auch sind wir weit davon entfernt, GRÜNE Ideen zu skizzieren, die als Kampagne tragen. Der neue Landesvorstand ist seit seiner Wahl Ende März diesen Jahres mit politischen Initiativen nicht in Erscheinung getreten. Im Interview in der Freien Presse (https://www.freiepresse.de/NACHRICHTEN/SACHSEN/Die-Mehrheit-der-Sachsen-tickt-so-wie-wir-artikel10209496.php) warnen die SprecherInnen zwar zu Recht, dass Sachsen 2019 noch weiter nach rechts kippen könnte, lehnen aber einen „Lagerwahlkampf“ ab. Ausdrücklich sollen auch „konservative Umweltschützer“ angesprochen werden. Eine Koalition mit der CDU wird explizit nicht ausgeschlossen. Dieses öffentlich breit wahrnehmbare Interview verschärft den Eindruck, die Parteiführung wolle ohne klare Konturen und Abgrenzungen und ohne politische Schwerpunktsetzungen die Fünfprozenthürde nehmen. Die anstehenden Wahlen werden in den städtischen Hochburgen der GRÜNEN in Dresden, Leipzig und Chemnitz gewonnen oder verloren. Wahlerfolge im Jahr 2019 hängen stark von einer Motivierung und Mobilisierung unserer städtischen Mitglieder und Anhänger ab. Mehrheiten beschafft man nicht mit dem Verwaschen der eigenen Programmatik, sondern mit Klarheit.
Der Kreisverband Dresden hat sich entschieden, bei der Kommunalwahl 2019 für eine Fortsetzung der rot-GRÜN-roten Kooperation im Stadtrat zu kämpfen (https://gruenedresden.de/userspace/SN/kv_dresden/Dokumente/Stadtparteitag_2017/SPT17_Beschluss_Dresdens_Zukunft_braucht_starke_GRU__NE.pdf). Trotz unnötiger Reibungsverluste in der Kooperation haben wir Dresden nachhaltiger, gerechter und demokratischer gemacht. Wir haben in zentralen Feldern einen Politikwechsel eingeleitet, für dessen Fortsetzung es zu kämpfen lohnt (http://www.gruene-fraktion-dresden.de/news/zwischenbilanz/). Wir haben mit unseren PartnerInnen die Gründung einer neuen städtischen Wohnungsbaugesellschaft durchgesetzt, um günstige Mieten anbieten zu können. Wir haben im ÖPNV das Sozialticket eingeführt und setzen uns für eine Beschleunigung der Stadtbahnprojekte ein. Wir stellen konsequent Allgemeinwohlinteressen vor Renditefantasien von InvestorInnen wie etwa am Alten Leipziger Bahnhof. Wir haben die inhaltlichen und personellen Voraussetzungen zur Umsetzung eines ehrgeizigen Radverkehrskonzepts geschaffen. Wir haben den überdimensionierten Straßenbau beendet und setzen auf stadtteilverträgliche Lösungen wie beispielhaft auf der Königsbrücker Straße. Die Investitionen in Kita- und Schulhausbau führen wir auf hohem Niveau fort. Wir haben Planungssicherheit für die Jugendhilfe und soziale und kulturelle Projekte durch Mehrjahresverträge geschaffen. Wir treiben Initiativen zur nachhaltigen öffentlichen Beschaffung (Fair-Trade-City) voran. Als Ausgleich für die notwendige Stadtverdichtung vergrößern wir mit den Hufewiesen in Pieschen, dem Südpark in Plauen und den Erweiterungen des Alaunparks in der Neustadt und des Leutewitzer Parks in Cotta gezielt das öffentliche Grün. Wir machen Dresden mit der Direktwahl der Ortsbeiräte und mit einer Bürgerbeteiligungssatzung demokratischer und transparenter. Wir haben auch auf dem Höhepunkt rechtspopulistischer Hetze nicht gewackelt und mit unseren PartnerInnen die Voraussetzungen für eine humane Behandlung von Geflüchteten geschaffen.
Bei der Stadtratswahl 2019 geht es in Dresden darum, eine schwarz-blaue Mehrheit wie bei der Bundestagswahl 2017 zu verhindern. Wir müssen den Wahlkampf auf den Konflikt „Weitere soziale, demokratische und ökologische Reformen in einer weltoffenen Gesellschaft oder reaktionäres Rollback“ zuspitzen. Es darf keinen weiteren Rechtsruck in der Gesellschaft geben! Wir müssen den DresdnerInnen sagen, dass rechte Hetze und deren parteipolitische Unterstützung keine Gestaltungsmacht in Dresden gewinnen darf. Unsere Mitglieder, AnhängerInnen, unsere WählerInnen erwarten, dass wir diese Gefahr erkennen und darauf politisch antworten. Wir müssen klare Kante zeigen und die liberale und weltoffene Gesellschaft und ihre Grundwerte Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit verteidigen. Unsere WählerInnen in Dresden erwarten, dass wir für eine stärkere GRÜNE Position in der Kooperation mit Linken und SPD kämpfen. Sie erwarten aber auch, dass wir transparent und bürgernah arbeiten, schneller zu Lösungen kommen und diese auch umsetzen.
Andere politische Optionen gibt es für uns BÜNDNISGRÜNE in Dresden nicht. Aufgrund zahlreicher erfolgloser Gesprächsversuche wissen wir, dass wir unsere politischen Ziele mit der CDU nicht besser durchsetzen könnten. Diese in Dresden in Regierungsverantwortung gewonnene Erkenntnis darf eine GRÜNE Strategie auf Landesebene nicht ignorieren. Eine Offenheit der Partei oder unseres Spitzenpersonals und schwarz-GRÜNE Gedankenspiele auf Landesebene finden nicht nur keinen Anhalt in der GRÜNEN Programmatik und sind in höchstem Maße unrealistisch, sie schaden vor allem in katastrophalem Maße der Glaubwürdigkeit unseres GRÜNEN Wahlkampfs in Dresden. Wir haben bei der Bundestagswahl 2017 in den “städtischen Milieus” verloren (http://blog.valentinlippmann.de/?p=47#more-47). Diese WählerInnen werden wir nicht durch einen schwarz-GRÜN-Kurs zurückgewinnen. Wir brauchen daher auch auf Landesebene eine entsprechende politische Ausrichtung und ein Spitzenpersonal, das die Verhältnisse in Dresden nachvollziehen kann und unsere im Kreisverband vereinbarten Positionen aktiv unterstützt.
Wir treten ein für:
(1) Eine politische Positionierung, die die Glaubwürdigkeit von uns GRÜNEN in Dresden nicht durch Beliebigkeit in der Programmatik beschädigt und den Kommunalwahlkampf konterkariert;
(2) Ein öffentlich wahrnehmbares Agieren gegen die Staatsregierung als Hauptverantwortliche für die “sächsischen Verhältnisse”;
(3) Eine klar erkennbare Strategie gegen die Bildung einer schwarz-blauen Regierung nach der Landtagswahl 2019;
(4) Eine schwerpunktmäßige Ausrichtung unseres Wahlprogramms auf unsere Hochburgen.
Wir fordern die Mitglieder von BÜNDNIS 90/Die GRÜNEN in Sachsen auf, jetzt eine innerparteiliche Debatte mit dem Ziel zu führen, tragfähige Strategien und lebensnahe Kampagnen für die Wahlkämpfe 2019 zu erarbeiten, die Menschen über die Partei hinaus dafür begeistert, für uns BÜNDNISGRÜNE anzutreten. Nur wenn ein solcher Prozess jetzt Fahrt aufnimmt und an Schwung gewinnt, erscheint uns ein gelungener Start in ein erfolgreiches Wahljahr 2019 möglich.
Sachsen kann anders, Sachsen geht besser, fangen wir bei uns BÜNDNISGRÜNEN an!
UnterzeichnerInnen:
Tobias Fritzsch, Stadtvorstand KV Dresden
Julia Günther, Ortsbeirätin, KV Dresden
Dietmar Günther, KV Dresden
Johannes Lichdi, Stadtrat, KV Dresden
Oliver Mehl, Ortsbeirat, KV Dresden
Michael Schmelich, Stadtrat, KV Dresden
Christin Bahnert, ehemalige Landesvorstandssprecherin BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sachsen, KV Berlin-Pankow
Ich unterstütze das auch. Danke für diesen Aufschlag
Vielen Dank für euer Bemühen die Diskussion ins Rollen zu bringen!
Für alle Grünen die kein Facebook haben und trotzdem mitdiskutieren möchten: https://chatbegruenung.de/channel/lv_sachsen Die chatbegruenung ist ein Tool das nur Grüne Parteimitglieder verwenden können und von der Netzbegrünung (LDK und BDK Livestreams, Textbegrünung) angeboten wird.
Ich hab eine anonyme Umfrage zu dem Thema gestartet, die man in der Chatbegrünung und in der Innerparteilichen Demokratie Gruppe in FB findet. (Kann den Link nicht öffentlich posten)
Ich finde den Beitrag im Ansatz gut, weil er durch seine klaren Aussagen die Diskussion im laufenden Wahlprogramm-Prozess auf Landesebene befeuert.
Ich finde diesen Beitrag insgesamt aber dann doch „schlecht“, oder besser, ich teile einige Beschreibungen und die meisten Schlussfolgerungen nicht, und der herablassende Ton in einigen Absätzen macht das noch leichter. Welcher Slogan ist denn bitte nicht „bemüht“? Was soll diese unnötige Mäkelei? Ein gutes Diskussionsklima schaffen?
Und ich ärgere mich am Ende auch über den Beitrag, weil er einen Eindruck verfestigt, den ich in den letzten Jahren gewonnen habe: Wie sich der Sachse in der BRD sieht, nämlich als generell zu kurz Kommender, in seiner Genialität unverstandener und eigentlich etwas viel Besseres verdienender und deshalb zu Recht dauerbeleidigter Mitbürger, so sieht sich die Dresdnerin in Sachsen. „In Dresden sind wir alle weltberühmt“, wie ich vor Jahren schon mal aus anderem Anlass feststellen konnte, daran hat sich nicht viel geändert.
Selbstverständlich erkenne ich an, was mit der Kooperation RGR hier in Dresden erreicht wurde, auch wenn die Darstellung im Beitrag fast ausblendet, daß es auch zwischen diesen Partnern erhebliche Gegensätze gibt. Trotzdem, es ist einiges geschafft worden, von dem auch ich im Alltag profitieren werde und das ich nicht missen möchte.
Allerdings sei auch die Frage gestattet, warum dies geschafft wurde. Sicherlich nicht nur, weil wir so überzeugende Argumente haben, ein klein bißchen Macht ist vermutlich auch dabei. Auf Landesebene dürfte das so ähnlich funktionieren.
Die im Beitrag erhobene Forderung nach einer klaren Abgrenzung zur „Staatspartei“ (was als rhetorische Keule angehen mag, aber doch etwas geschichtsvergessen wirkt) bedeutet letztlich die Aussage „Wir wollen nicht gestalten“. Sie bedeutet, wir treten zwar zu den Landtagswahlen an, aber möchten uns gern weiter in der Oppositionsnische aufhalten (gemeinsam mit den Linken, die dafür auch ein Abo haben) und uns daran freuen, nicht in Versuchung zu kommen, wenn die tägliche Realität nach pragmatischen Lösungen ruft. Für das Gestalten haben wir die Großstädte, sofern die hauchdünnen Mehrheiten bestehen bleiben, was zumindest in Dresden ein harter Kampf werden wird.
Nun kann man natürlich deswegen „Dresden first“ sagen, das passt ja auch zur hiesigen Mentalität. Nur nimmt man damit den gesamten Landesverband in Geiselhaft, wenn man einen generellen Ausschluss von Kooperationen mit der CDU verlangt, um in Dresden sauber argumentieren zu können (aus Leipzig sind solche Forderungen bislang nicht zu hören).
Ein bißchen Dialektik würde dabei nicht schaden: Man kann durchaus erklären, warum man in Dresden weiter auf RGR setzt, aber auf Landesebene das Wahlprogramm in den Vordergrund stellt (das es im Übrigen noch gar nicht gibt) und dann schaut, was davon in den möglichen Konstellationen umsetzbar wäre – sofern es überhaupt mehrere gibt.
Auch weil es dieses Landes-Wahlprogramm noch nicht gibt, kommt mir der Beitrag ein wenig voreilig daher. Gut, wir hatten partei-interne Wahlen vor ein paar Monaten – die Ergebnisse muss man nicht gut finden, sollte sie aber akzeptieren. Die Wahl in der Landtagsfraktion scheint von außen betrachtet nun nicht unbedingt ein Umsturz zu sein, und auch hier ist die Entscheidung der Fraktion zu respektieren.
Dabei nun die sächsischen Medien als Kronzeuge zu bemühen, die eine „Öffnung zur CDU“ erkennen wollen, bedeutet in letzter Konsequenz, daß unsere internen Entscheidungen davon abhängig gemacht werden sollen, was in den (leider wenigen) relevanten sächsischen Zeitungen dazu stehen wird. So stelle ich mir unsere Partei eigentlich nicht vor.
PS: Die am Anfang aufgeworfene Frage „wie es 2014 zur Annäherung kommen konnte“, kann übrigens sogar ich (ohne tiefere Einblicke in die sächsische Grünen-Historie) beantworten: Es gab vor der Wahl einen LDK-Beschluss dazu, wobei die „Annäherung“ schlicht die Ermöglichung von Sondierungen bedeutete. Die sind mit bekanntem Ergebnis ausgegangen, was dann zu ebenfalls bekannten personellen Konsequenzen führte. Für mich ist das ein ganz normaler politischer Prozess, unsere Partei braucht sicherlich keinen Wächterrat, der so etwas entscheidet.
PPS: Mal ganz praktisch auf meinem Politikfeld Mobilität gedacht: Bei der CDU wüsste ich hier gar nicht, wovon ich mich abgrenzen sollte. Die findet verkehrspolitisch in Sachsen nicht statt. Deren Rolle nimmt stattdessen Herr Dulig mit ein, der mental in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts zu stecken scheint oder einfach keine Lust hat, sich mit dem Unsinn, was ihm sein Ministerium zum Verkehr aufschreibt, ernsthaft auseinanderzusetzen. Deswegen gäbe es hier eine große Lücke durch uns zu füllen, und diese Chance möchte ich nicht von vornherein ausschließen.
Sandro Zimmermann
Unabhängig davon, wie man die von den Autor*innen geforderte Ausrichtung beurteilt, ist die Forderung nach politischer Erkennbarkeit und Klarheit sicherlich immer richtig. Es besteht aber die Gefahr, dass die im Beitrag geforderte innerparteiliche Debatte altbekannte Muster wiederholt, die uns inhaltlich nicht weiterbringen. Es ist wichtig, dass wir JETZT aus diesem Kreislauf ausbrechen.
Das Elend der landespolitischen Debatte bei den sächsischen GRÜNEN besteht in dem Umstand, dass sie immer wieder in geisttötende Neuauflagen der ewig alten Frage mündet, wie man zur Option einer schwarz-grünen Koalition im Freistaat stehe. Die „Tradition“ dieser Fragestellung verdeutlichen auch die Autor*innen, indem sie darauf hinweisen, dass diese Diskussion bereits 1994 (also vor 24 Jahren) zur Abwahl der GRÜNEN geführt und spätere Wahlkämpfe belastet habe. Diese Argumentationslinie ist langjährigen Mitgliedern ebenso vertraut wie die vermeintliche Gegenposition, dass man angesichts der Dringlichkeit der Klimakatastrophe zur Verantwortung bereit sein und deshalb im Zweifelsfall das Lagerdenken einstellen müsse.
Besonders ärgerlich ist der Umstand, dass diese Diskussion die inhaltliche Weiterentwicklung unserer Programmatik überlagert, im schlimmsten Falle womöglich sogar blockiert. Leider verstärkt man so die Neigung der sächsischen Medien, Landespolitik auf die Frage „Wer mit wem?“ zu reduzieren und inhaltliche Fragen auszublenden. Auf die inhaltlichen Fragen kommt es aber an! Wenn die Autor*innen konstatieren, dass die tatsächlichen oder vermeintlichen „Annäherungsversuche an die Staatspartei CDU“ 2014 scheitern mussten, bestätigen sie ja, dass es keine gemeinsame inhaltliche Basis für eine Koalition gab. Insofern kann man nicht behaupten, dass sich die GRÜNEN inhaltlich untreu geworden seien.
Es gibt wohl kaum eine/n sächsische/n GRÜNE/N, die/der nicht mit den verkrusteten Verhältnissen in Sachsen hadern würde. Es ist klar, dass deshalb die politische Priorität die sein sollte, die für diese Verhältnisse verantwortliche CDU von der Macht abzulösen. Allein: Zur Klarheit gehört auch die Ehrlichkeit dazu. Eine SPD, die sich nicht traut, und eine LINKE, die es sich in der Opposition bequem gemacht hat und auf die Umsetzbarkeit ihrer Forderungen nicht achten muss, erschweren es uns, sie als „natürliche“ Bündnispartner*innen zu sehen, auch wenn das eigentlich so sein sollte. Manche mögen deshalb meinen, dass mit einer CDU, deren Daseinszweck Machterhalt statt Ideologie ist, pragmatische Fortschritte erzielt werden können, was besser sei, als auf eine (mehr oder weniger) linke Mehrheit am Sankt-Nimmerleins-Tag zu warten. Das ist allerdings auch reichlich optimistisch, wenn man bedenkt, wie die bisherigen Partner der CDU aus den jeweiligen Koalitionen hervorgegangen sind.
Das kann man ewig so weiterspinnen und damit hätte man noch keinen einzigen inhaltlichen Punkt diskutiert.
Zwei Dinge sollten wir deshalb erreichen: Lasst uns aufhören, öffentlich über Milieus zu schwadronieren und lieber Politik machen. Und tun wir nicht so, als wären wir im Jahr 2013!
Zum ersten: Eine „Strategie“ nach dem Motto „Was will die Wählerin / der Wähler gerne hören?“ ist abzulehnen. Daraus entsteht im Zweifel nämlich keine Politik, sondern nur Marketing. Überlegungen zur Erreichbarkeit urbaner Milieus (oder gar von Hipstern), konservativen Naturschützern oder sonst wem sollten durch die Frage verdrängt werden, was wir für Sachsen ERREICHEN wollen. Es ist mit Sicherheit nicht so, dass Menschen so denken: „Oh, die GRÜNEN sprechen mich als Hipster an! Na, das ist ja interessant!“ Wichtiger ist, wie sie unsere Politik wahrnehmen. Beispielsweise mussten wir in den vergangenen Monaten am meisten die Zustimmung zur Förderung des Ski-Weltcups und die Senkung der Bettensteuer in Dresden verteidigen – übrigens mit dem Handicap, dass erstere erfolgt war, BEVOR der Kreisverband sich dazu positionieren konnte. Selbstverständlich gehen wir davon aus, dass unsere Stadträt*innen ihre Entscheidung von dem Kriterium abhängig gemacht haben, was ihnen richtig und vernünftig schien, und erst in zweiter Linie von Erwägungen, wie bestimmte Milieus darauf reagieren könnten.
Wenn man sich darüber beklagt, dass wir 2017 in unseren Hochburgen an die LINKE verloren haben, dann sollte man auch nicht so tun, als sei dies ein rein sächsisches Phänomen. Man gucke sich beispielsweise mal die Ergebnisse in Berlin an. Das spricht doch sehr für die These, dass bei der Bundestagswahl (Überraschung!) die bundespolitischen Themen dominiert haben dürften – vielleicht aber auch der Verzicht auf das Setzen von Themen. Dass man den Trend in der Kommunal- und Landespolitik nicht verstärken sollte, ist auch klar. Es stellen sich aber Fragen: In welchem Maße bedeuten die Verluste in den Hochburgen, dass dieselben Leute woanders etwas finden, was sie bei uns nicht mehr finden? In welchem Maße gehen sie darauf zurück, dass sich die Hochburgen durch Ab- und Zuwanderung verändern? Die Schwarz-Grün Diskutant*innen beiderlei Bekenntnisses haben wenig Zahlen, dafür halbmythische Figuren zu bieten wie die potenziell verlierbare links-urbane Stammwählerin und den potenziell gewinnbaren ländlichen Konservativen.
Zur Klarheit gehört die Ehrlichkeit dazu. Wir hatten 2013/2014 und davor eine Luxusdebatte, ob Schwarz-Grün in Sachsen sinnvoll sei. Die Lehre von 2014 war dann die folgende: Wenn die CDU sich einen Koalitionspartner aussuchen kann, dann nimmt sie den, der ihre Braunkohleabbaupolitik mitträgt. Wenn für immer 2014 wäre, wäre das dann zwangsläufig die SPD. Und wenn für immer 2009 wäre, dann wäre das eben die FDP. Wenn SPD und FDP 2019 in den Landtag einziehen, stehen der CDU schon mal zwei willige Partner zur Verfügung, die diese immer den GRÜNEN vorziehen würde.
Die Sache sieht anders aus, wenn sie auf die GRÜNEN angewiesen wäre. Das kann passieren, wenn aufgrund eines überwältigenden AfD-Erfolgs keine Regierungsbildung mit einer Zwei- oder gar Drei-Parteien-Koalition mehr möglich wäre. In diesem Falle wäre die Frage der Regierungsbeteiligung oder -tolerierung eine Frage der demokratischen Verantwortung. Sehr wahrscheinlich sind die GRÜNEN in Sachsen-Anhalt nicht mit Begeisterung in die sog. „Kenia-Koalition“ eingestiegen sind, und der politische Alltag dort scheint zu zeigen, dass das kein Vergnügen ist, aber das AfD-Ergebnis erforderte eine Koalitionsbildung von zumindest halbwegs demokratischen Parteien. Aus der Brandenburger CDU hört man mittlerweile von Überlegungen, mit der LINKEN zu koalieren. Soweit wird es in Sachsen nicht kommen, aber wir werden womöglich bekannte Muster verlassen müssen. Vielleicht bedeutet das auch parlamentarische Willensbildung in anderen Formen als dem der Koalitionsmehrheit und Oppositionsminderheit. Übrigens: Dass man der sächsischen Union moralisch die Bereitschaft zur Koalition mit der AfD zutrauen kann, ist wohl richtig, allerdings besteht noch das Problem der Unberechenbarkeit der AfD aufgrund ihrer eigenen Inkompetenz und chaotischen Verfasstheit. Das dürfte in der CDU noch als ein Hinderungsgrund für diese Option gesehen werden.
Derartige Überlegungen und Ungewissheiten können aber kein Inhalt einer Kampagne sein. Selbstverständlich sind wir gegen die klimaschädliche und bürger*innenrechtefeindliche Politik der CDU. Wichtiger ist es aber, darzustellen, wie WIR SELBST Klimaschutz und Bürger*innenrechte in Sachsen voranbringen wollen. Das bedeutet auch, PROJEKTE zu definieren, die Menschen dazu motivieren könnten, GRÜN zu wählen. Wahrscheinlich ist es ein Irrtum, zu denken, dass die Mehrheit in Sachsen so wie wir „tickt“, aber wir sollten trotzdem versuchen, die Mehrheit anzusprechen. Übrigens: Bei einer traditionell niedrigen Wahlbeteiligung von um die 50 Prozent bei sächsischen Landtagswahlen liegt es auf der Hand, dass Koalitionsspekulationen keine besondere Motivation für Wähler*innen darstellen, sondern dass viele Menschen in Sachsen gar nicht wissen, was es überhaupt bringt, bei Landtagswahlen wählen zu gehen. Vielleicht hilft dieser Gedanke ja auch mal bei der Prioritätensetzung.
Wenn man regieren möchte, sollte man sagen können, wozu. Das bedeutet, dass wir schleunigst die Debatte darauf fokussieren sollten, welche zentralen Projekte für uns von so zentraler Bedeutung sind, dass sie in einer wie auch immer gearteten Regierungskonstellation für uns nicht verhandelbar wären. Das wäre eine echte politische Willensbildung, die durch Farbenspiele nicht ersetzt werden kann. Unser bester Beitrag zum Kampf gegen eine rückschrittliche Mehrheit muss eine zugespitzte GRÜNE Programmatik mit klarer Kante sein. Das gilt in unserer Stadt wie auch im Freistaat.
Ich unterstütze die Erklärung auch als Radebeuler Stadtrat und Kreisrat in Meißen
Vorneweg – ich bin kein Mitglied der Grünen, aber eine langjährige Wählerin. Ich hoffe diese Sicht interessiert hier auch:
Ich werde die Grünen gern wieder wählen, wenn ich nicht den Eindruck haben muss, damit eher die Position der CDU zu stärken. Falls die Position sich jetzt schon zu sehr der CDU annähert, wie soll dann in etwaigen Koalitionsverhandlungen überhaupt noch eine erkennbar grüne Position erhalten bleiben, wenn man noch weiter auf die CDU zugehen muss?
Die Grünen werden hauptsächlich in den Städten gewählt – von Menschen denen Umweltschutz, Minderheitenschutz, Feminismus, sozial-liberale Politik, gute Fahrradinfrastruktur, gute Lebensmittel – und eine Alternative zur CDU wichtig sind. Es wäre schön, wenn all das erkennbar wäre für uns Wähler.
Ich unterstütze dieses Papier, weil ich auch bei den GRÜNEN in Sachsen eine Anpassung an die Verhältnisse beobachte und diese Diskursverschiebung nicht mittragen möchte.
Ich bin sozusagen mit den Grünen politisch groß geworden (bereits in den 80ern in Baden-Württemberg), habe IMMER Grün gewählt bis eine mögliche Koalition mit der CDU immer näher rückte (siehe auch Baden-Württemberg). Mittlerweile bin ich maßlos enttäuscht von der Anbiederung an die CDU, weshalb ich dann nicht auch mehr grün wählte, um eben nicht Teil einer CDU Koalition zu sein…
Die CDU Sachsen ist schließlich noch konservativer und reaktionärer als die Bundes-CDU, so dass ich eine klare Abgrenzung für absolut notwendig halte! Eine ökologische Linke, die konsequent ihre Ideen gegen schwarz-blau-braun vertritt, das wäre mein Wunsch.
Ich schließe mich Anja an. Eine grüne Partei, die sich der sächsischen CDU annähert, wäre für mich nicht wählbar. Ich sah bisher in den Grünen die Partei, die die dringendsten und wichtigsten globalen, nationalen und regionalen Probleme sieht und zumindest nach Lösungsansätzen sucht. Neben dem Bewahren des Status Quo bzw. der Förderung bestimmter Interessengruppen, dass ich bei allen anderen Parteien sehe.
Deswegen kann ich den letzten Absatz des Textes vollumfänglich unterschreiben und bin hoffnungsvoll, dass es den Bündnisgrünen in Sachsen gelingt, möglichst viele Menschen, Wähler*innen davon zu überzeugen, dass Grün nicht eine, sondern die einzige Möglichkeit ist und es einen Wandel hin zu Rot-Rot-Grün mit starken Grünen braucht.
…aber so gern man das in seinen Träumen hätte: Über Rot-Rot-Grün im Freistaat zu reden ist doch wirklich absolute Traumtänzerei. Aktuell steht Rot-Rot-grün bei 12+18+4%. Das ist nach meiner Rechnung relativ weit von 50%+x entfernt. Und nach ausführlicher Recherche des Wahlrechts habe ich herausgefunden, dass man mit 4% gar nicht in den Landtag kommt (Achtung, Ironie!). Könnte also unser vordringliches Projekt bitte jetzt erstmal darin bestehen, unser Profil zu schärfen, statt dass jetzt jeder sagt, wie schrecklich er (oder sie) die CDU und die vermeintliche Anbiederung an selbige findet?
Habt ihr eigentlich den Beitrag von Achim gelesen? Man könnte ja fast den Eindruck bekommen, das sei nicht der Fall. Crazy!
Mir kommt das ehrlich gesagt reichlich aufgeregt vor. Ich danke Sandro und Achim für ihre differenzierten Antworten!
Zitat: Einladung zum GRÜNEN Tisch am Mittwoch, den 20.06.2018
Liebe Freundinnen und Freunde,
im nächsten Jahr erwartet uns ein weiteres „Super-Wahljahr“. Wie Ihr wisst, wird der Stadtrat neu gewählt und parallel dazu auch das Europaparlament. Im Sommer folgt dann noch die Landtagswahl.
Wie bei uns im Kreisverband laufen auch auf Landesebene bereits die Vorbereitungen dazu. Neben den inhaltlichen Fragen muss natürlich auch unserere strategische Ausrichtung zur Landtagswahl diskutiert werden. Wir möchten dieser Debatte bereits frühzeitig auch bei uns im Kreisverband Raum geben und laden Euch daher herzlich zu einem GRÜNEN Tisch ein:
am 20. Juni, ab 19 Uhr in der Grünen Ecke (Bischofsplatz 6).
Thema: Landtagswahl
Einen erster Auftakt für die strategische Debatte haben einige Mitglieder des Kreisverbandes Dresden mit einem offenen Brief formuliert. Diese Debatte wurde daraufhin bereits im Landesparteirat geführt und soll auch auf der kommenden Landesversammlung (LDK) im Herbst diesen Jahres fortgesetzt werden.
Die Frage nach der strategischen Ausrichtung unseres Landesverbandes ist insbesondere für uns in Dresden von Bedeutung, da auf die Großstädte Dresden, Leipzig und Chemnitz der Großteil aller Wähler*innenstimmen zur Landtagswahl entfallen. Welche Strategien für den Wahlkampf und welche Wähler*innengruppen wir gezielt ansprechen müssen, dies möchten wir zu diesem GRÜNEN Tisch mit Euch diskutieren.
Zur Vorbereitung auf den GRÜNEN Tisch empfehlen wir Euch den offenen Brief, der bei uns bereits in unserem Online-Debattenmagazin veröffentlicht wurde:
(Eben hier)
Wir freuen uns auf eine gute Debatte mit Euch und hoffen auf Euer Interesse!
Mit vielen GRÜNEN Grüßen
Susanne und Achim
für den Stadtvorstand
—
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in Dresden
Wettiner Platz 10
01067 Dresden
Vielleicht sollte man in dieser Debatte auch auf die aktuelle Umfrage eingehen, nach der nicht nur CDU (32%) und SPD (9%) keine Mehrheit mehr zusammenbekämen, sondern auch eine Dreierkonstellation mit FDP (6%) ODER GRÜNEN (6%) nicht ausreichen würde. Zwar wird INSA nachgesagt, die AfD tendenziell zu hoch zu bewerten, aber man sollte sich nicht zu sehr mit der Annahme beruhigen, dass die 24% für die AfD zu hoch gegriffen sein könnten. Allerdings muss man dann auch sagen, dass, wenn es so wäre, die AfD wahrscheinlich hinter das Ergebnis der letzten Bundestagswahl (27%) zurückfällt und wenigstens nicht mehr als stärkste Partei in Sachsen dasteht. Es ist also nicht richtig, den Feind als unbesiegbar zu beschreiben. Ob 6% für die GRÜNEN in einer Umfrage auch 6% in echt wären, kann man nicht mit Sicherheit sagen (ich neige ja auch nicht dazu, der BILD alles zu glauben). Zumindest wäre das aber kein Wert, der die These bestätigen würde, dass die GRÜNEN bislang alles falsch gemacht hätten.
Die Verfasser*innen des hier kommentierten Beitrags treten laut eigener Aussage für eine „klar erkennbare Strategie gegen die Bildung einer schwarz-blauen Regierung nach der Landtagswahl 2019“ ein. Sie sollten jetzt diese Strategie beschreiben. Ich selbst hielte es grundsätzlich für wünschenswert, eine rot-rot-grüne Regierung in Sachsen zu bilden. Auch die Erfahrungen in Dresden rechtfertigen – bei allen Schwierigkeiten – diesen Wunsch. Aber diese Umfrage gibt einer solchen Konstellation im Freistaat nur 34 Prozent, und sie müsste schon sehr falsch sein, wenn wir den Hauch einer Chance auf eine “linke Mehrheit” haben sollten. Es wäre also sehr spannend, zu erfahren, wie die Autor*innen eine solche Mehrheit erreichen wollen – vielleicht in einem ausführlicherem Papier. Oder aber sie benennen eine strategische Alternative, z. B. dass die GRÜNEN die Linkspartei zum Eintritt in eine Koalition mit der CDU bewegen. Andernfalls wäre (nur scheinbar paradoxerweise) die einzige Option für uns GRÜNE, um SchwarzBlau zu verhindern, der Eintritt in eine Koalition mit der CDU und weiteren Partnerinnen oder die Tolerierung einer Koalition der CDU mit anderen (außer der AfD natürlich).
Wie soll sie also aussehen, diese „klar erkennbare Strategie“?