Seit Ostern formieren sich Gruppierungen, die sich unter dem Vorwand des Protestes gegen die Corona-Beschränkungen versammeln. Es kommt bei diesen Versammlungen nicht selten zu Ausschreitungen und Gewalt; Anweisungen der Polizei sowie der Hygieneschutz und die Abstandsregeln werden missachtet.
Im Erzgebirge fanden sich an einem Abend zeitgleich jeweils bis zu 400 Personen an verschiedenen Orten ein. In Pirna waren an mehreren Abenden bis zu 500 Personen auf der Straße, zuletzt mit direkter Gewalt gegen Polizistinnen, die auf die Einhaltung von Abstands- und Hygieneregeln hinwies. In Dresden sammelten sich im Großen Garten wiederholt mehrere hundert Personen. Das Spektrum der Teilnehmerinnen ist breit gefächert, wird jedoch dominiert von der Neuen Rechten, Antisemit*innen und Personen, die Verschwörungsideologien anhängen und sich in völkischen Strukturen organisieren. Für viele habituell gutbürgerliche Personen scheint es kein Problem zu sein, sich mit erklärten Feinden von Verfassung und offener Gesellschaft zusammen zu finden.
Insgesamt erinnert das Versammlungsgeschehen an die Frühphase der Proteste der Jahre 2015/2016 und die Entstehung der GIDA-Bewegungen, wenn auch (noch) mit verminderter Heftigkeit und anderer Themensetzung, allerdings erneut mit dem absurden Versuch, sich auf die Bürgerrechtsbewegung der DDR zu berufen.
Das Phänomen erstreckt sich über Sachsen und weit darüber hinaus. Unter dem Vorwand, die Grundrechte schützen zu wollen, sammeln sich Neonazis, Verschwörungsideologen und Verfassungsfeinde, denen es nicht um den Schutz der Freiheitsrechte, sondern um den Aufruf zum Systemsturz geht. Durch die Weigerung, sich auch nur im Ansatz an die Hygieneregeln zu halten, sind diese Versammlungen überdies auch nichts Weiteres als schlecht getarnte und verantwortungslose Corona-Partys. Wir müssen der aktuellen Entwicklung mit der notwendigen Konsequenz entgegentreten und darauf hinwirken, dass im Umgang mit den Versammlungen nicht dieselben politischen und kommunikativen Fehler wie 2015/2016 gemacht werden. Grundrechte schützt man nicht, indem man mit Rechtsextremen demonstriert.
Freiheit schützen – ohne Verfassungsfeinde
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sind die Partei der Grund- und Freiheitsrechte in umfassendem Sinn. Das heißt, dass wir die Grundrechte als ein Gesamtkonzept von Schutzrechten mit aller Macht verteidigen werden. Wir haben als Bürgerrechtspartei Verständnis für alle Menschen, die sich Sorgen um die Einschränkung von Freiheitsrechten in der jüngsten Vergangenheit machen. Nach dem Grundrechtsverständnis des Grundgesetzes findet die Freiheit des einzelnen auch dort ihre Grenzen, wo sie die Freiheit des anderen über Gebühr beeinträchtigt. Und so ist uns auch in der aktuellen Situation der Pandemie eine Abwägung zwischen den einzelnen Grundrechten wichtig.
Um in dieser besonderen Situation einer Pandemie dem Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit für möglichst viele Menschen Geltung zu verschaffen, waren temporäre Einschränkungen anderer Grundrechte legitim, auch wenn dies für uns BÜNDNISGRÜNE schmerzlich war.
Allerdings sind an derartige Einschränkungen hohe Anforderungen zu stellen. Sie müssen verhältnismäßig sein, einen Bezug zum tatsächlichen Infektionsgeschehen haben und den entsprechenden regionalen Spezifika von Neuinfektionen und Infektionsketten Rechnung tragen, um etwaige Grundrechtseinschränkungen möglichst gering zu halten. Darüber hinaus müssen die Einschränkungen einer engen zeitlichen Beschränkung unterliegen und permanent auf ihre Verhältnismäßigkeit hin überprüft werden.
Wir betrachten es zudem als notwendig, dass die demokratisch legitimierten Vertretungen in die Beschlussfassungen über die Grundlagen von Schutzmaßnahmen und etwaiger Grundrechtseinschränkungen einbezogen werden.
Da die Abwägungen beim Schutz der Grundrechte transparent erfolgen müssen, fordern wir die Staatsregierung und die Kommunalverwaltungen auf, Informations- und Diskussionsveranstaltungen über Infektionsgefahren und -schutz, aber auch über Demokratie und ein umfassendes Grundrechtsverständnis in der Bürgerschaft anzubieten, ohne dabei expliziten Feinden der Verfassung eine Bühne zu bieten. Wir begrüßen ausdrücklich die Bemühungen einzelner Kommunen in diese Richtung.
Auch Leugner*innen der Gefahren, die durch das Coronavirus SARS-CoV-2 bestehen, genießen selbstverständlich die allgemeinen Freiheitsrechte. Dies ist allerdings kein Freibrief für verantwortungsloses Handeln. Denn diese Freiheiten stoßen dort an Grenzen, wo ihre Ausübung mutwillig oder grob fahrlässig den Gesundheitsschutz und damit die Grundrechte anderer Menschen beeinträchtigt. Wir erwarten von allen Bürgerinnen und Bürgern, dass sie ihre individuelle Verantwortung zur Eindämmung der Pandemie ernst nehmen.
Als Grundrechtspartei stehen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN für eine ständige Überprüfung und Abwägung einzelner Schutzmaßnahmen, insbesondere, wenn Freiheitsrechte zum Schutz anderer partiell beschnitten werden müssen. Darüber hinaus gilt es, die sozialen und wirtschaftlichen Folgen der Einschränkungen permanent mit betrachtet und abgewogen werden. In diesem Sinne stellen wir uns der Debatte über einzelne Maßnahmen.
Verunsicherung begegnen, Solidarität leben
Beim Tragen der momentanen Belastungen und Einschränkungen setzen wir GRÜNEN auf das Prinzip der Solidarität und auf das Miteinander von Kommunen und Land in einem föderal organisierten Staat.
Die massiven Einschränkungen verunsichern viele Menschen in unserem Land. Wir GRÜNE waren und sind deshalb von Anfang an mit Menschen in den Gemeinden vor Ort, aber auch auf Landesebene mit Verbänden und Initiativen im Gespräch, um konkrete Fragen zu klären und über Verunsicherungen aufzuklären und werden dies auch weiterhin tun. Wir ermuntern ausdrücklich dazu, sich aus zuverlässigen Quellen über das Virus, die Gefahren der Ansteckung sowie Möglichkeiten des Schutzes zu informieren. Über die Schutzmaßnahmen können und müssen wir kontrovers diskutieren, auch darüber, an welchen Stellen Teile der Einschränkungen nicht verhältnismäßig waren. Wir werden diese Diskussion mit allen Menschen führen, denen unsere freiheitliche Demokratie am Herzen liegt.
Wir wenden uns entschieden gegen diejenigen, die derzeit in Sachsen und darüber hinaus die entstandene Verunsicherung unter den Menschen über den Umgang mit der Infektionsgefahr für ihre Zwecke missbrauchen, um die durch freie Wahlen legitimierte Regierung sowie die politische Ordnung insgesamt in Frage zu stellen. Wer jetzt gemeinsam mit Rechtsextremistinnen, sog. Reichsbürgern, PEGIDA oder Verschwörungstheoretiker*innen ohne Abstand und Hygieneschutz marschiert, leistet keinen Beitrag zum Erhalt der Grundrechte, sondern gefährdet das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit für sich selbst und seine Mitmenschen. Ein solches Verhalten widerspricht fundamental den GRÜNEN Vorstellungen einer solidarischen Gesellschaft: Wir tragen Lasten und Herausforderungen gemeinsam.
Wir lehnen es ab, mit bekannten Feinden unserer freiheitlichen gesellschaftlichen Ordnung einen privilegierten Diskurs zu führen und ihren Aktivist*innen somit eine Bühne zu bieten. Viele Menschen in unserem Land haben Sorgen, haben konkrete Fragen und Anliegen im Kontext der Beschränkungen und sich daraus ergebender Probleme: Ihnen und der Lösung der konkreten Probleme gilt unsere ganze Aufmerksamkeit.
Das Virus kann eine erhebliche Gefahr für JEDEN Menschen sein, auch für diejenigen, die vermeintlich völlig gesund und ohne Vorerkrankungen sind. Deshalb plädieren wir auch weiterhin für einen verantwortungsvollen und solidarischen Umgang mit der Bedrohung durch SARS-CoV-2.
AG NEON (“Neonazismus und Neue Rechte”) bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in Dresden
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